Lichtkunst

Schon lange hat das immaterielle Medium Licht Eingang in die künstlerische Produktion gefunden. Es hinterließ als Symbol des Göttlichen seine Spuren in den Kirchenfenstern und Goldgründen des Mittelalters, findet sich in seiner profanen Erscheinung als die Landschaft modellierendes Licht erstmalig in den Bildern der Frührenaissance und dient im Barock der Dramatisierung und Inszenierung von Malerei, Skulptur und Architektur. Es wird mit Beginn der technischen Revolution zum Träger modernen Fortschrittsglaubens und zum Leitmotiv des Futurismus. Es verlässt die Leinwand über das Theater, die Fotografie und den Film, um selbst zum Gegenstand der Betrachtung zu werden.

„Ich forme das Licht" – ein Tanz als Beginn einer Kunstrichtung

Sie wurde zum Star des Art Nouveau und des Symbolismus. Sie wurde zum zentralen Ornament des aufkommenden Jugendstils. Edison und die Brüder Lumière hielten ihren Tanz fest, Toulouse-Lautrec schuf eine ganze Serie von Lithografien nach ihrem Bild und zahlreiche Designer verwandten Motive aus ihren Tänzen für Lampenfüße und Glasfenster: Loïe Fuller. All dies schichtete sich wie Patina über eine Persönlichkeit, die 1892 in den Pariser Folies Bergère mit einem Tanz debütierte, der Licht nicht nur als ästhetisches Ereignis feierte, sondern zugleich der Synästhesie von Licht und Bewegung, Licht und Raum in noch nie gesehener Weise Gestalt verlieh. Eingehüllt in einen überdimensionierten weißen Umhang aus Crêpe de Chine, den Bewegungsradius der Arme mit Aluminiumstäben in den Stoff verlängert und von in den Bühnenboden eingelassenen Lichtbogenlampen beschienen, zeigte sich dem Publikum im ansonsten völlig verdunkelten Bühnenraum eine Szenographie aus fließenden und wirbelnden Stoffbahnen, ein sich transformierendes Gebilde aus Licht. „Je sculpte de la lumière" – „Ich forme das Licht", so überschreibt die Tänzerin programmatisch ihr Schaffen. Ein Postulat, das bis heute in jedem mit Licht geschaffenen Kunstwerk mit aufscheint.

Das befreiende Licht

Doch ist es die sich entwickelnde Photographie, mit der das Licht erstmals als ein Medium wahrgenommen wird, das die Dinge, indem es sie in ein Bild verwandelt, von ihrer Materialität befreit. Lázló Moholy-Nagy fasst diese Erfahrung 1928 folgendermaßen zusammen: „Die lichtempfindliche Schicht, Platte oder Papier ist ein unbeschriebenes Blatt, worauf man mit Licht so notieren kann, wie der Maler mit seinen Werkzeugen." Dabei geht es dem gebürtigen Ungarn und ab 1923 am Dessauer Bauhaus tätigen Künstler weniger um die Fotografie als Medium, als vielmehr um ein „Neues Sehen. Treibendes Element ist die Forderung nach Objektivität, nach einer Kunst frei von schwankenden Stimmungen und sentimentalen Gefühlen, wie sie einer bürgerlichen Kunst attestiert wird: eine technische Kunst, eine Maschinenkunst auf der Höhe der Zeit, und entsprechend den gesellschaftlichen Umbrüchen zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

So stellt denn auch eine der bekanntesten Umsetzungen dieses Versuchs der von Moholy-Nagy seit 1920 entwickelte, aber erst 1930 auf der Ausstellung des Deutschen Werkbundes in Paris gezeigte Licht-Raum-Modulator dar. Dieses ‚Lichtrequisit' besteht aus einem kubischen Kasten mit einer kreisrunden Öffnung (Bühnenöffnung) auf der Vorderseite. Um die Öffnung herum, auf der Rückseite der Platte, sind eine Anzahl gelb-, grün-, blau-, rot- und weißfarbiger elektrischer Glühbirnen montiert. Innerhalb des Kastens, parallel zu der Vorderseite, befindet sich eine zweite Platte mit kreisrunder Öffnung, die ebenfalls verschiedenfarbige elektrische Glühbirnen aufweist. Einzelne Glühbirnen leuchten aufgrund eines vorbestimmten Planes an verschiedenen Stellen auf. Sie beleuchten einen sich kontinuierlich bewegenden Mechanismus, der teils aus durchsichtigen, teils aus durchbrochenen Materialien aufgebaut ist, um möglichst lineare Schatten- und Farbprojektionen auf den Wänden eines verdunkelten Raumes zu erzielen.

Licht, und keine Erlösung

Zerstörerisch auf die Experimente Moholy-Nagys und damit auch auf die Visionen und Utopien der künstlerischen Avantgarde wirken sich jedoch unmittelbar die politischen Veränderungen in Deutschland aus. Denn nur wenige Jahre später wird die auch bei Moholy-Nagy aufscheinende kultische Dimension des Lichts als politisches Instrument missbraucht. Mit dem Einsatz von Flakscheinwerfern zu den Propaganda-Aufmärschen der Nationalsozialisten in Nürnberg, Berlin und anderen deutschen Städten beweist Albert Speer nicht nur seinen Hang zum Pathetischen, sondern versteht sich zugleich als Hohepriester des kalkulierten Einsatzes von Licht und dessen emphatischer Wirkung auf die Massen. Ihr monumentales Scheinen verkehrt spätestens 1939 eine der ältesten Menschheitsvorstellungen in ihr Gegenteil. Jene, der zufolge Licht Erlösung bringt.

In der folgenden Zeit sind daher keine künstlerisch-technischen Experimente mehr möglich und nur wenige Jahre später verliert mit dem Atomblitz und der Zerstörung von Hiroshima und Nagasaki schließlich auch das 'natürliche' Licht seine Unschuld.


Die radikale Konkretisierung des Lichts

Damit folgt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die radikale Konkretisierung des Lichts. Mit dem Resultat, dass nicht mehr allein das natürliche Licht mögliches Thema der Kunst ist, nimmt die Moderne einen zweiten Anlauf und entdeckt dabei erneut - zunächst in deutlicher Anknüpfung an Moholy-Nagys Bauhaus-Experimente - das künstliche Licht als künstlerisches Material wieder.

Schon seit 1948 entwickelt in Paris der Künstler Nicolas Schöffer, wie Moholy-Nagy auch er Ungar, auch er Utopist einer totalen urbanen Ästhetisierung, Raum-dynamische Lichtarchitekturen. Ziel seiner Tätigkeit: eine kybernetische Stadt. Eine Stadt, die auf Tageszeiten, Temperaturen und Wetter mit Licht und Bewegung reagiert. Dieser weitgehend ungebrochenen, zukunftorientierten und technikeuphorischen Dimension bestimmt auch die Arbeiten der Düsseldorfer Künstlergruppe ZERO, zu der u.a. Heinz Mack, Otto Piene und Günther Uecker gehören.

Piene, der effizienteste Organisator und enthusiastische Theoretiker dieser Gruppe, entwickelt zuerst mit Handlampen, dann zunehmend mit mechanischen, elektrisch programmierten Gebilden wahre Lichtballette und Lichtspiele.

Dan Flavin – eine Leuchtstoffröhre wird zur Ikone

Zur selben Zeit findet sich in den Arbeiten amerikanischer Künstler die Tendenz zur Konzentration auf das «reine» Licht und seine Ausbreitung im Raum. 1963 entsteht jene erste Ikone, mit der der Amerikaner Dan Flavin sein gesamtes Werk bis heute begründet: The diagonal of May 25, 1963 to Constantin Brancusi, eine industriell gefertigte, gelbes Licht aus- strahlende Leuchtstoffröhre, die im Winkel von 45 Grad zur Horizontalen an die Wand eines Raumes befestigt war.

Im Unterschied zur traditionellen Plastik und Skulptur, die von aussen mit Licht modelliert wird, dringt bei Flavin das Licht umgekehrt von innen nach aussen. Ziel des Lichts ist kein Körper, sondern der Raum, in dem es sich ausbreitet.

Lichträume

Geistig aufscheinende Sinnlichkeit kennzeichnet in Folge das Werk eines anderen amerikanischen Künstlers: James Turrell. Turrell präsentiert das Licht in seiner physischen Faktizität, in seiner metaphysischen Wirkung. Ein Künstler, dessen Arbeit ganz auf die Schaffung einer geistigen Erfahrungsqualität durch Licht entgrenzter Räume ausgerichtet ist. Unbegreifbare, dimensions- und grenzenlos wirkende Lichträume – Räume reiner Sinneserlebnisse die immer auch transzendentaler Deutungen offen stehen.

Gemeinsam mit den Arbeiten von Dan Flavin, aber auch Robert Irwin oder Douglas Wheeler aus der Zeit um 1970 ist den Lichtinstallationen von James Turrell ihre Selbstreferenz, die Untersuchung von Licht als Material mit dessen physikalisch-optischen Eigenschaften und dessen zeiträumlich gebundener Wirkung auf den Betrachter.

Ikonographie des Bewußtseins

Neben der abstrakten Lichtkunst hat sich aber fast gleichzeitig eine zweite Tradition des Umgangs mit Licht als künstlerischem Medium herausgebildet. Sie hat ihre Wurzeln in der Lichtreklame. War es im Jahr 1879 die Entwicklung der kommerziellen Glühbirne, in deren Folge die Städte mit leuchtender Werbung überzogen wurden, so trat an dessen Stelle ab 1912 das Neonreklamezeichen, die „living flame", wie man die Neonröhre in Amerika nennt und die nun massenhaft für das Nachzeichnen symbolhafter Werbeembleme oder Schriftzüge eingesetzt wird.

Während diese Mode zu Beginn der 70er Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts einen Einbruch erleidet, entdecken Künstler im Rahmen ihrer ganz unterschiedlichen künstlerischen Konzepte die dünne, formbare und mit unterschiedlichen Gasen gefüllte Glasröhre als ideales Ausgangsmaterial, um mit ihr Lichtgebilde aus einzelnen Worten, Sätzen oder ganzen Bildern zu schaffen.

Stehen für ersteres François Morellet, Keith Sonnier und Maurizio Nannucci, so zeichnen für die weniger abstrakte Verwendung der Leuchtröhre Joseph Kosuth, Mario Merz und Bruce Nauman.

Licht und Schatten

Das die Faszinationskraft, die von den bunten Lichtern ausgeht, für die künstlerische Arbeit gefährlich sein kann, ist zugleich Thema der Kunstkritik in dieser Zeit. Immer wieder wird daher darauf verwiesen, das die Integration dieser Materialien in den künstlerischen Prozess nur dann gelingt, solange die Faszination des Materials den ästhetischen Diskurs nicht in den Hintergrund, solange der leuchtende Farbkörper durch ein überzeugendes künstlerisches Konzept legitimiert wird und nicht zum dekorativen Selbstzweck verkommt. An diesem Punkt richtet sich daher schnell das Interesse der Kunstkritiker auf jene Künstler und Künstlerinnen, in deren Werken die inhaltlichen Botschaften im Vordergrund stehen.

Christian Boltanski beispielsweise, jener Künstler, der durch den, vom Kritiker Günther Metken in dieser Zeit geprägten Begriff Spurensicherung, zum paradigmatischsten Spurenproduzenten avanciert. Auf Vitrinen mit Kindheitsdokumenten folgen die so genannten "Archive der Erinnerung", für die Boltanski seit 1969 immer wieder die gleichen Elemente verwendet: Blechschachteln (Keksdosen), Fotos und Archivlampen und darauf Werke mit simplen Drahtfiguren, die angestrahlt, ihr dämonisches Unwesen als Schattenbilder auf den Wänden der Galerien und Museen treiben. Licht-Schatten-Gebilde. Alpträume eigener Innerlichkeit.

Zeitgleich macht in Amerika die Künstlerin Jenny Holzer von sich Reden. Ihr Leuchtschriftenwerk beginnt im umbauten wie öffentlichen Raum unvorbereitete Betrachter und Passanten zu verwirren. Erstmalig 1982 lässt sie diese, fortan als Truisms bekannten Botschaften auf der elektronischen Anzeigetafel des Time Square in New York laufen, dort wo sich alles drängt und Werbeanzeigen, Nachrichten und Veranstaltungshinweise durcheinander laufen; und definiert eine sozial engagierte, politisch orientierte Kunst.

Die Scheinhaftigkeit des projektiven Versprechens

Zu Jenny Holzers Lichtschriftwerk gesellt sich in den 1980ziger Jahren die Lichtprojektion. Der Licht aussendenden Apparaturen bedienen sich vor allem die Künstler Andreas M. Kaufmann, Michel Verjux und Mischa Kuball. Den Arbeiten von Andreas M. Kaufmann, mit seinen ikonographisch aufgeladenen und immer auf den Ort ihrer Präsentation bezogenen Diaprojektionen, entgegnet Michel Verjux mit der Kraft der modernen Abstraktion: Die Diskrepanz zwischen dem Schein der Projektion und dem meist nur bruchstückhaft aufscheinenden Angeschienenen ist zentrales Thema seiner Arbeit. Auch der Düsseldorfer Künstler Mischa Kuball verwendet für seine zumeist in den öffentlichen Raum eingreifenden künstlerischen Interventionen wie Kaufmann Projektoren, meist Kreiselprojektoren, die es ihm erlauben, Lichtaustritt oder Motiv unablässig zu verändern.

Kunst und Wissenschaft

Gerade im Bereich der mit dem Werkstoff Licht arbeitenden KünstlerInnen, lässt sich eine neue Verbindung zwischen den seit dem cartesianischen Zeitalter getrennten Disziplinen Kunst und Wissenschaft ausmachen. KünstlerInnen entwickeln bildhafte Analogien und Metaphern zu ihren Schnittstellen, die nicht als Referenzgrößen zitiert werden, sondern sich in einem ästhetisch erfahrbaren Gesamtgefüge neu begegnen. 2009 präsentiert der amerikanische Künstler Spencer Finch auf der Biennale von Venedig ein maßstabsgetreues, dreidimensionales Modell der atomaren Struktur des Mondes. Finch verwendete Glühbirnen verschiedener Größe und durch Metallstäbe verbundene Fassungen, um die molekularen Bestandteile des Mondstaubes nachzubilden, der von den Astronauten der Apollo 17 Mission im Jahre 1972 gesammelt und später hinsichtlich seiner chemischen Bestandteile analysiert wurde. Der mit der wissenschaftlichen Aufklärung einhergehenden Auflösung mythischer Vorstellungen, die über Jahrtausende das Bild vom Mond und seines Einflusses auf das Leben bestimmten, setzte Spencer Finch ein neues bildhaftes und sinnlich erfahrbares Werk entgegen.

Auch BIT.FALL (2002 – 2006) von Julius Popp ist ein Werk, das angesiedelt ist zwischen Technologie, Wissenschaft und Kunst. Grundlage dieser Arbeit ist die Untersuchung des Künstlers über die Geschwindigkeit, mit welcher in der modernen Gesellschaft Informationen gewonnen, ausgetauscht und aktualisiert werden. Die bei BIT.FALL mit Worten dargestellten Informationen werden von einer Software, basierend auf einem statistischen Algorithmus geliefert. Diese filtert innerhalb eines vom Künstler festgelegten Zeitraumes Nachrichten aus dem Internet und übergibt diese Werte an die Steuerung von BIT.FALL. Diese lässt in Sekundenbruchteilen Hunderte Tropfen in bestimmten Intervallen fallen, wodurch ein ‚Wasserfall' von Worten entsteht. Jeder Wassertropfen wird zum flüssigen, flüchtigen ‚Pixel' oder ‚Bit', dem kleinsten Teil dieser Information.

Auch Jan-Peter E.R. Sonntag, besessen von Wellen und einer totalen Monochromie, gehört zu jenen Künstlern, die die Demarkationslinie zur Wissenschaft übertreten. Zusammen mit der Firma NARVA entwirft er 2009 ein in dieser Intensität noch nie gesehenes grün schwingendes Plasma, gefasst in einem ebenso speziell gefertigten Glaskörper und präsentiert in Form einer dreibeinigen Stehlampe.

Die Grenzen überstrahlen

Mit Beginn des 21. Jahrhunderts verwischen die Grenzen. Von Lichtkunst zu sprechen, kann sich nicht mehr allein auf jene KünstlerInnen beschränken, die das Licht selbst zum Gegenstand der Betrachtung machen. Lichtkunst ist keine Begrifflichkeit mehr, der eine eindeutige Zuschreibung zugrunde liegt, sondern vielmehr ein thematisch offener Bereich, in dem Licht als immaterieller Werkstoff Eingang in die künstlerische Praxis findet. Hier wird Licht zum Bestandteil komplexer Fragestellungen in Bezug auf vergangene wie gegenwärtige, gesellschaftliche und individuelle Prozesse und Phänomene. Es findet Verwendung, um sich mit kulturellen Differenzen (Anny & Sibel Öztürk, Haegue Yang), mit politischer, medialer und ökonomischer Vereinnahmung (Via Lewandowsky) oder mit privater wie gesellschaftlicher Erinnerungskultur auseinandersetzen. Und es verliert seine eindeutige Zu- und Festschreibung in den Werken jener KünstlerInnen, die neben ganz persönlichen Arbeits- und Lebensumständen, Architektur-, Designgeschichtliche und Alltagskulturelle Referenzen (Tobias Rehberger, Olafur Eliasson) nicht ausschließen.

Lichtkunst und die an sie gestellten Parameter

Natürlich kann man rein materialästhetisch alle Arbeiten, die leuchtende Objekte einsetzen oder das Licht gar zum Objekt der Betrachtung selbst erklären, als Lichtkunst bezeichnen, doch gilt es eine Abgrenzung zur Illumination zu ziehen. Diese Abgrenzung ergibt sich dabei in Anlehnung an einen Kunstbegriff, der sich aus den Werkzusammenhängen, aus einer subjektbezogenen, zeitlichen wie geografischen, sozialen wie politischen Perspektive von KünstlerInnen – unter

Verwendung des Mediums Licht – speist. Um wiederum allgemein zu werden, meint Lichtkunst daher eine Kunst, die sich der technischen Möglichkeiten von Licht bedient, um ihre eigene Erlebniskraft zu erweitern, die Räume und Orte für Erinnerung, Geschichte, für Widerstand, Poesie und Träume schafft und sich als Denk- und Erfahrungsraum versteht, in dem die Künstlerin oder der Künstler eine reflexive Haltung einnimmt.

Matthias Wagner K